... und dadurch Raum verschenkt
- Interview: Marie Bruun Yde
Im Zuge der schnellen Massenmotorisierung des 20. Jahrhunderts entstand nur langsam die Erkenntnis, dass das Parken Platz beansprucht. Der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff zu Parkplätzen als Bautyp, Poesie, Sprache und der Frage nach mathematischer Effizienz.


Sie beschäftigen sich mit der Poetik der Infrastruktur. Was genau ist damit gemeint?
Mich fasziniert die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Straßentypen, eine Nische in der Architekturtheorie. Wenn man Straßen – ihren Grundriss, Aufriss und Schnitt – streng architektonisch betrachtet, dann geben sie nicht viel her. Das sagt aber nichts darüber aus, was die Straße eigentlich bedeutet. Poetischer sind Perspektiven auf Infrastrukturbauwerke, beispielsweise in der Literatur oder im Film. Bei einer filmischen Verfolgungsjagd im Untergrund kann man zum Beispiel der Atmosphäre des Abwassersystems viel näherkommen, als es ein klassischer architektonischer Blick hergeben würde. Das nenne ich die Poetik der Infrastruktur. Für die Architekturgeschichte lassen sich also etwa Literatur- und Filmwissenschaften nutzen, wenn man über die Disziplinen hinausdenkt.
In Ihrem 2023 erschienenen Buch „Automobil und Architektur“ beschreiben Sie, wie das Auto zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Architektur verändert hat. Welche neue Rolle kam der Architektur zu?
Dieses neue, teure, noch seltene und wahnsinnig schnelle Gerät Automobil hat Architekten schockiert und fasziniert. Man kann darin auch eine Faszination für künstlerische Bewegungen betrachten. Architektur bewegt sich nie, aber verschiedene Architekten haben sich Dinge einfallen lassen, was man tun kann, um die Architektur auf Trab zu bringen.
… Um die Dynamik des Autos aufzunehmen?
In den 1910er und 20er Jahren versucht die Architektur dem Vorbild des schnellen Autos zu folgen, die Gestaltung gewinnt an Schwung: wie abgeschliffen wirkende Fassaden, oder auch eine zu Rampen geglättete Erschließung. Aber in der Nachkriegs- zeit, als sich mehr Leute ein Auto leisten können, verliert das Auto die Aura der Einzigartigkeit. Es fährt nicht immer, sondern steht die meiste Zeit. Das wird ein Problem, wenn viele Menschen Autos haben. Der Raum, der in Städten zugeparkt wird, beansprucht eine wahnsinnig große Fläche.
Kam das überraschend?
Schon in der Fachdiskussion in den 1960er Jahren wurde deutlich, dass, um eine Innenstadt adäquat mit Parkplätzen zu versorgen, die komplette Stadtfläche nötig wäre. Folglich mussten effizientere Parklösungen her. Der Architektur fiel eine vollkommen neue Rolle gegenüber dem Auto zu, weil sie jetzt für den fließenden wie auch für den ruhenden Verkehr in die Pflicht genommen wurde.

Wurde das statische Parken eher vergessen, während das dynamische Fahren gefeiert wurde?
Es war die Hochzeit der „Fly-overs“ und vieler Stadtautobahnprojekte. Aufgeständerte Stadtautobahnen sind absolut irre – eine geradezu kinetische Erfahrung, in Höhe des fünften Stockwerks zu fahren. Und die Abfahrten gehen steil nach unten, das kann etwas von einer Achterbahn haben. Da geht es um ein Emporheben und um eine Heroisierung des Autos und des Verkehrsflusses. Diese Bauten sind nicht nur da, um not- wendigen Verkehr von A nach B zu befördern; jede Straße generiert auch immer den Verkehr, den sie zu lösen verspricht.
Gleichzeitig ist diese auch die große Zeit des Parkplatzes, der überhaupt erst erfunden wird.
1957 erscheint als erste Auseinandersetzung mit dem Problem Parken und Flächenfraß das Merkblatt „Parkflächen“ in der Bundesrepublik. Es hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein stehendes Auto wenig heroisch ist und eigentlich nur Fläche verbraucht. Das wird dann zu einer mathematischen Herausforderung und führt zu einer Art „grauen Architektur“, mit dem Parkplatz als alltäglichstem Beispiel. In der intellektuellen Auseinandersetzung allerdings wurde das Parken nur wenig betrachtet. Zu Parkplätzen gibt es fast nur „graue“ Expertenliteratur, die auf Tabellen und Mathematik basiert.
Der Begriff „ruhender Verkehr“ ist schon eigentümlich. Sie beschreiben, dass darin die Schattenseite „Stau“ steckt.
Das Begriffspaar enthält einen Widerspruch: Verkehr suggeriert ein Im-Fluss-Sein. Aber in dem Moment, wo der Verkehr ruht, ist er eigentlich kein Verkehr mehr. Oftmals verraten Formulierungen bei genauer Betrachtung viel.
Heute sind Parkplätze in der Planungsregulierung sehr präsent, Sie beschreiben sie jedoch als anfangs etwas Wildes und Chaotisches.
Handlungsanweisungen aus der ADAC-Motorwelt der 1950er und 60er Jahren zeigen in witzigen Bildern das richtige Fahren und Parken. Damals waren viele Stadtplätze einfach Verkehrsplätze ohne Regelung, ob und wie man parken darf. Aber vor allem hat man ineffizient geparkt und dadurch Raum verschenkt. Daraufhin kamen Parkplätze auf, die mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen Wissenschaftlichkeit gestaltet waren und die Flächen perfekt ausnutzen. Die Gestaltungsparameter dieser Parkplätze sind einfach: Es gibt Stellplätze und Fahrgassen, die sie erschließen. Ihre Anordnung ist ein Spiel aus Aufstellwinkel und Fahrgassenbreite.
Sie vermitteln auch, wie damals im Grunde der ganze öffentliche Raum als ein einziger, großer Parkplatz gesehen wurde. Ist das heute nicht immer noch so?
Eine Parkbroschüre für Berlin aus den 1930er Jahren zeigt, wie selbstverständlich es war, dass man sein Auto mitten auf dem Gendarmenmarkt abgestellt hat, um dann ins Theater zu gehen. Das fällt heute keinem mehr ein, auch weil es teuer würde. Parken ist heute viel reglementierter.
Interview – Effizientes Parken
Erik Wegerhoff
ist Professor für Geschichte der Baukultur am Fachbereich Architektur, Bau und Geomatik der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Zuvor war er Dozent für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH Zürich. Wegerhoff forscht zur Poetik der Infrastruktur. 2023 erschien sein Buch „Automobil und Architektur. Ein kreativer Konflikt“ im Wagenbach-Verlag.